Architektur

Situation

Ist es mit der heutigen Architektur nicht ähnlich wie mit der Musik, der Poesie und der bildenden Kunst: es mag viele Kriterien geben, um sie zu definieren – schliesslich sind es aber dann doch persönliche Vorlieben, das, was uns daran bewegt, das Aufregende, Faszinierende, noch-nicht-Gesehene, manchmal das Differenzierende – was wir schliesslich mit „guter“ Architektur benennen.

Konzepte

Architektur ist konzeptionell. Den Gebäuden liegen Ideen zugrunde (Vorstellungen): Konzepte können das Programm abbilden (Funktionalismus) oder den Kontext (zB. ein gebogenes Gebäude in einer Kurve). Konzepte können das Bauwerk als Objekt betreffen: ein perfektes Bauwerk, das sich selber ist: Schönheit und Wahrheit. Ein Fertiges und manchmal ein Heroisches (ein Zeichen, will bedeuten). Sein Essenz liegt im Schönen, im Aufgehen, in seiner Stringenz. Die Gestaltung kann auch Bauprozesse abbilden (Betonfugen, Sichtbackstein).

Meisterarchitektur als reine Lösung, als Wert und Wahrheit, wo nichts verändert werden soll, wo Alles bis ins letzte Detail festgelegt ist. Das Objekt ist das Ereignis.

Die Idee ist (meistens) das einzige Frei-Wählbare in einem Projekt, da das Programm und das Grundstück (und damit sein Kontext) gegeben sind. Im Kontext und Programm steckt keine Wahl – nur die Auswahl (ebenso in den Bauprozessen).

Die Idee hingegen ist frei wählbar: aus ihr kann Gestaltungskraft gezogen werden (z.B. wie  Stonehenge, die Pyramiden, Hatschepsut’s Grab, die Kathedralen…)

Gerade deshalb könnte das Konzept in „Konflikt“  treten mit dem Programm und dem Kontext (ein Disput, oder ein Dialog), bzw. (als Zweiheit aus Kontext/Programm und Idee) „lesbar“, sinnfällig werden. Damit wird es stark und geht nicht unter und dient vielleicht später Anderem als Ausgangspunkt (als Widerpart).

Architektur soll nicht nur Wahrheit sein oder sagen (weil man sie so nur zur Kenntnis nehmen, sich daran freuen und sie eventuell gut finden kann), sondern auch eine Idee verkörpern.

Wünsche, Bedürfnisse, Anziehung (Sympathie, Antipathie) können sich keine Finalität (Grund, Ziel) vorstellen.

Der Mensch bewegt sich aber wegen der Bedürfnisse und Wünsche. Um eine gewünschte Wirkung zu erzeugen, müssen die Bedürfnisse ins Bewusstsein gehoben werden: neu, anders verstehen, sehen.

Das kann Keiner alleine. Es braucht die Gesellschaft.

Für die Bewusstseinsbildung, für das Lernen und für die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung brauchen wir Ideen (nicht (nur) Werte), den Dialog und die Anderen. Es geht um:

1.Problembewusstsein (Widersprüche wahrnehmen, sich damit auseinandersetzen) – bisherige Praxis in Frage stellen.

2.a) bisherige Ziele mit geeigneteren Mitteln umsetzen; bestehende Spielräume ausnützen: in der Theorie bezeichnet mit: Single-Loop-Learning (Resultat: Wissen wird (besser) vermittelt, nicht  aber «Befähigen»).

2.b) handlungsrelevante Ziele und Werte müssen reflektiert und verändert werden: grundlegendes Umdenken in Bezug aufs Handeln: in der Theorie: Double-Loop-Learning.

3.Somit wäre eine „Lernkultur“ zu erreichen (= anhaltendes Bemühen, nicht delegieren; als Resultat ein „Befähigen“ der Menschen, und nicht nur mehr Wissen).

Das Zwischenmenschliche, das soziale Lernen, die Beziehungen und die Kommunikationsflüsse verändert soziale Gegebenheiten (die Gesellschaftsordnung) und ermöglicht produktives und kreatives Zusammenarbeiten. In alledem steckt zudem Kraft für Gestaltung.

Die Masse will (mit Architektur) nicht vor allem ansprechbar sein, sie ist nicht bewusst und überlegt beim täglichen „Benutzen“ eines Gebäudes kaum. Die Leute brauchen die Architektur nach ihrem Gusto, vielleicht (hoffentlich) nicht so, wie es der Architekt intendiert hat; vielleicht sogar pervers. Sie sehen die Zeichen, Bilder und Wahrheiten nicht. Diese haben somit (sozial) keinen Wert; auch weil durch zusätzliche Wahrheiten (zB. aus Programm und Kontext) die Bewusstseinsbildung, das Lernen und die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung nicht gefördert wird.

Sehgewohnheiten

Doch gibt es auch Sehgewohnheiten, die bewirken, dass „Wahres“ falsch ausschaut oder unmöglich ist: zB. in der klassischen griechischen Architektur, den Tempeln: die Säulen werden bombiert (damit sie gerade aussehen) und die perspektivischen Korrekturen für das Auge bestimmen z.B. den Säulenabstand und die Krümmungen der Basis, der Kapitelle und des Gebälks. Plötzlich und erstaunlich wird die effektive Konstruktion unregelmässig, um sich (von Weitem beschaut) zu einem harmonischen Gesamtbild zu schliessen, auch die Unregelmässigkeiten, die durch die unlösbare Eckproblematik erzeugt werden, kommen noch hinzu; die Fugen der Säulentrommeln hingegen werden unterdrückt,  die Oberfläche der Stütze wird durch das Licht- und Schattenspiel der Kannelüren verfremdet….

Römisches

Wie frei von derartigen Zwängen scheint dagegen die römische Architektur mit ihren dicken Mauern zu sein, die sich vom Diktat des Konstruktiven (ausser teilweise noch in der Fassade) befreit hatte, um ihre Erfindungsgabe im Räumlichen und der Wege- und Lichtführung sowie an der (erlebbaren) Materialisierung zu zeigen. Die Architektur ist tolerant und luxuriös; die Details ordnen sich dem grossen Ganzen unter.

Hier ist Architektur erschienen, die sich von  konstruktiven Zwängen,  Ordnungsvorstellungen, handwerklichen Höchstleistungen und damit gewaltigem Management) unbeeinflusst zeigt: ein Gestalten aus freiem Willen, welche seine Gestaltungskraft nicht aus Gegebenem oder schwer Erkämpftem schöpft. Solche Architektur bietet starke Erlebnisse und Wirkungen (der Urgrund der Architektur, das Räumliche – wird spürbar gemacht werden).

Raumsyntax: Villa in Tivoli

Hadrian hat in seiner Villa eine „Raumgrammatik“ entwickelt, beginnend mit einer Koppelung zweier Räume in den Bibliotheken. Weiter kam das Hinterlegen eines Raumes mit Lichthöfen und seitlichen Arkadenschichten. Noch komplexere Lösungen zeigen mehrere hintereinander geschaltete Räume unterschiedlichen Lichts und anderer Form zB. in gekreuzten Richtungen oder als Volumen mit Räumen in einem Hohlraum…

Romanik und Rokoko

In der Romanik ist diese Suche vertieft worden, zB. mit komplexen Schichtungen in Fassaden und Räumen oder mit raumhinterlegten und je anders belichteten Raumteilen und Volumina.

Raumverzahnungen bei Kahn

Kahn hat die „Raumgrammatik“ erweitert zB. mit Verzahnungen von Räumen  mehrfacher Lesbarkeit.

Möglichkeiten von Raumsystemen

Raumsysteme können „Mitte“ erzeugen und natürlich ebenso „Peripherie“.

In Kupferstichen von Piranesi (z.B. Triumpfbogen von Konstantin) entsteht mit der Masse des Bauwerks und den vorgelagerten, durch das Gebälk verkröpften Säulen und Statuen darauf etwas wie ein räumliches Flimmern, eine intensive Raumschicht davor

Raumbildung der Moderne

Wenn Loos mit dem „Raumplan“ noch im Geiste der „Raumgrammatik“ arbeitet, wird die Raumbildung in der Moderne häufiger mit zB. senkrecht zueinander stehender Wände bewerkstelligt (wie zB. im Barcelonapavillon von Mies). Dieses Systeme hat es vorwiegend mit raumbildenden Elementen zu tun; hiermit wirken die Beiträge eher plastisch denn räumlich.

Auch Le Corbusier gelingt es, die Möglichkeiten der Architektur zu erweitern, indem er mit den 5 Punkten die Ausdrucksweise moderner Architektur mitbestimmt und konzeptionalisiert (Tragen/Trennen antagonisiert) und zB. mit Domino und Citrohan grundlegende Organisationsmöglichkeiten aufdeckt. Dazu hat er die von ihm erfundenen Ordnungsvorstellungen immer weiter entwickelt und mutiert zu: zB. wieder mit Citrohan und Domino:

Guiette, Stuttgart, Poissy, Garches und Filateurs als Grundtypen; Jaoules und Sharabai: ein Citrohan in zwei oder mehreren Schichten; Curruchet und Karthago als Dominos im Citrohan, Shodan als Domino mit ausgeprägtem Schnitt; aber auch La Tourette mit Citrohans über Dominos. Die Ordnungsvorstellungen sind didaktisch durchexerziert ohne spezifische Bindung an den Kontext oder das Programm.

Kontinuität

Jedes Meisterwerk zeichnet sich durch eine gewisse Stimmigkeit und Schönheit aus, welche das Ganze durchwaltet, es verdichtet und zu einer Ganzheit ordnet – durch Vielschichtigkeit, ohne aggressiv oder karg zu sein – es gibt ja auch keine billigen oder abstrakten Violinen…

Städtebau

Die Grossüberbauung in Zürich Affoltern wird über einen Masterplan gesteuert; die Baufelder können als Arealbebauungen realisiert werden (Bonus: Ausnutzung von 90% auf 130% erweiterbar, Geschossigkeit von 3 auf 7 Etagen); dadurch wird die Überbauung disparat und besteht aus Einzelgrundrissformen: es gibt  keinen Dialog, weder unter den Gebäuden noch mit dem Umraum; dadurch entsteht auch keine Verzahnung und Homogenisierung (Stadtbild); es gibt keine „Gesellschaftsordnung“; nichts Öffentliches.

In Zürich Nord (Oerlikon) sind hingegen Plätze als einprägsame Figuren mit spezifischer Stadtmöblierung und Bepflanzung entstanden, welche neben Überbleibseln der Industriezeit und disparaten Neubauten stehen – aber ohne Dialog, ohne gegenseitige Einflussnahmen oder Verbindungen.

In Almere soll durch Dichte und Gebäudehöhe mit Wohnbauten ein Zentrum entstehen. Auch hier kommt es zu einer lärmigen Ansammlung von (aus Stapelungen bestehenden) Einzelgebäuden. Architektonische Absichten sind etwa, durch künstlerische, bunte Farbgebung und expressive, überhängende Fassadenfluchten ungewohnte Raumeindrücke zu vermitteln. Doch sind die elementaren  Fragen 1. der Zugänge  (dort sollte mehr Öffentlichkeit gegeben sein: als Möglichkeit des zwanglosen sich Treffens) und der guten Adressen (ihrer Lage) – sie wurde nicht nicht gestellt, ebenso wenig wie  diejenigen 2. der Aussenräume (Privatheit auf dem Balkon von Innen und das Bild von aussen / Identifikationsmöglichkeit der Bewohner mit dem Gebäude / „Ordentlichkeit“) zusammen mit den Übergängen privat / halbprivat / öffentlich) und 3. die Fragen des Wohnens in der Stadt (zB. Wohnungen mit EFH-Qualitäten). Diese Fragen sind aber zentral für ein Stück Stadt, welches über Generationen mit seinem Äussern, seiner Grösse und Prägnanz das „Stadtbild“ mitbestimmt und so Identifikation schaffen soll..

Moderne Stadtentwürfe werden auch als „Stadtbilder“ verstanden wie zB. der Potsdamer-/ Leipzigerplatz mit den Quartieren von Renzo Piano in Berlin: diese sind unabhängig von den „gesellschaftlichen Ordnungen“ entstanden, nur Gehäuse, ohne auch zB. eine reziproke Beziehung zu den Aussenräumen (dadurch entsteht keine Ganzheit aus Aussenräumen und Bauten). Die  Einzelgebäude sind dann noch durch viele Meisterarchitekten entworfen worden; eine Tatsache, welche das gesuchte „Stadtbild“ noch zusätzlich heterogenisiert…).