Borromini

Die »Stil-Architekturen» kann man als »Sprache» verstehen – und so lesen:

Die Säulenordnungen (mit den Architraven), die übereinanderstehen sollen – das ist ein Kommentar – und auch, wenn sie »nicht kanonisch» sind. Die Bossierung des Mauerwerks im Erdgeschoss – und oben immer feiner werdend. Die Brüstungen und das Gebälk der Fenster – und die Abfolgen in den Geschossen. Der »Schichtenaufbau» (rechts ein Pilaster vor einem zweiten, breiteren – und in der Ecke noch vor einem Dritten, etc.).

Das wird heute »als von gestern» empfunden – und sagt uns Heutigen kaum noch viel…

…ebenso wie die Muster in den Kuppeln (und was das bedeutet – oder bedeuten soll) – und natürlich »alle Dekoration» (zB. in den Tondi – oder die Engel dazwischen – je nach Anzahl Flügel sind es andere Arten, usw.):

6-flüglige (nur wie Kindergesichter) – Seraphim (Gotteslob)

4-flüglige – Cherubim (Gotteskünder)

2-flüglige (gross wie Menschen) – Boten Gottes…

…diese sind zentral in der Architektur von Borromini (wie hier an der Fassade von San Carlino) – oben will es sagen: »Wappen in (Boten)Gottes Händen» – auf dem Eingangsportal (unten) als Bekrönung ein Seraphim (meint: hier geht’s zum »Lob Gottes»)…

…und sie werden Teil seiner Architektur, zB. als Umrahmungen einer Inschriftentafel…

…als Bekrönungen über einer Doppeltür…

..oder ihre Flügel bewirken eine »Spitzbogen-Bekrönung»

…sie werden zu Säulen…

…oder zu Kapitellen…

..und hier »zu Konsolen»…

…und schliesslich wird eine Volute fast wie zu einem Flügel…

Interessanter wird’s natürlich, wenn Borromini versucht (und es so postuliert), dass er »eine Raumeinheit» schaffen will. Die Ecken sind ja immer Unstetigkeitsstellen – hier kann man seine Bemühungen besonders gut sehen: darum hat er beim Hof von San Carlino die Ecken abgerundet – was zudem noch die »Präsenz» des Raumes verstärkt (ein Hof ist ja einmal ein »Leerraum», ein Aussen, ein »Nichts» – hier bekommt er aber eine »Innenraumqualität» – was wiederum »gelesen» werden kann – ein »Raum-Lesen» und nicht eine »Stilkenntnis»…).

Borromini macht gerne nach innen gewölbte (konvexe) Ecken oder Säulen.

Hier geht der Raum »erst eigentlich an der Decke» um die Ecke – im ganzen Raum ist »nur ein Pilaster schräg gestellt» – aber mit welcher Wirkung!

…und in der Raumansicht – es wirkt – das ist Architektur!

Auch hier noch »funktioniert’s» – ist aber schon sehr nahe am »Trick»

Ihm war auch wichtig, dass das Innere (der Raum) sich aussen »abbildet»..

..wie hier rechts (allerdings ist dann der innen konvexe Raum kaum mit dem Hauptraum verbunden – der Erstere fungiert wohl eher nur als »Drehscheibe» – etwas »hilflos», finde ich).

Der Hauptraum findet noch eine andere Art, »um um die Ecke zu gehen» (Borromini konnte es allerdings nicht so gekonnt realisieren), so wurde es gebaut:

Die »Deckenzeichnungen» (Elemente, Lisenen) sind »zu dünn» – es gibt kaum Kontinuität.

Bei San Carlino ist dies auch zu sehen (der Raum ist ein Frühwerk – die Fassade ein Spätwerk – welche Ausdauer!)

Bei den Römern hat Borromini Hadrian kritisiert, weil dieser seine Räume in blockhafte (Aussen)Volumen einhüllte:

…doch welche Raumerfindungen – da kann Borromini nur davon träumen (er musste für Bauherren arbeiten – Hadrian für sich selber!):

Und noch etwas: Hadrian hat nicht nur einen geschlossenen »inneren Umriss» geschaffen, sondern auch die Kuppel »eingebunden».

Borromini hat etwa bei San Carlino eine »Zwischenebene» eingeführt zwischen die umlaufende Wand – die Kuppel ist »abgehoben», und die Bögen, welche sie tragen beginnen »hinter» der Wand, weit hinter dem Gebälk…

… hier von oben sehr gut zu sehen (Borromini hat eine solche Einsicht natürlich »nicht geplant»).

Ein anderes Beispiel von Hadrian – hier unten über die Diagonalen dargestellt, es verzahnen sich Innen- und Aussenraum – welche Erfindung, welche Architektur:

Auch wir haben die »Einheit» versucht, hier »aussen» (wie Borromini es (vor allem innen) versuchte und auch so postulierte).

Der auch von oben einsehbare, vorne zweifach gerundete Baukörper hat seine raumhaltige Hauptfassade „hinten“, zum Hof hin. Der Kopf „schaut“ zu den Werkteilen auf der anderen Strassenseite.

Ganzheit, konzentriert sich in e i n s: Kern und Schale. Auf der Eingangsfassade zwei einläufige, aussenliegende Treppen ins Obergeschoss.

Hauptfassade längs: modellierter Baukörper; er bildet die im Innern stattfindende Prozessrichtung ab und ist wie der Shuttle an das bestehende Lagerhaus angedockt.

Neubau auf einer Industriebrache. Der Hinterbereich mit der Anlieferung, den Sozialräumen und der Technik befindet sich im zweigeschossigen, höher strebenden Teil des Baus an der Bahn. Gegen die Strasse verglaste Front und Vordach; abwechselnd Nordlichtbänder und Zenitallicht mit Sonnenspiel im Innern.

Die starke Form setzt im grossen Umraum und ausgefransten Dorfrand ein Zeichen und stiftet Identität. Im Innern Markthallen-Charakter.

Was die Erfindungen Hadrians anbelangen, hat Borromini wenig Vergleichbares – doch aber zum Beispiel dies:

In der Sapienza in Rom lässt er den konkaven Hof mit dem konvexen Kuppeltambour in einer Linie (und grossen Fenstern in dieser Achse) ‹zusammenfallen›. Die Laterne ist wieder konkav und die Haube konvex-spiralförmig. Die Thematik ist Kontrast und Zusammenbinden.

Im Innern gibt es allerdings ziemlich aggressive Grate (und die Abwechslung konvex-konkav ist nicht wirklich eine sehr lang nachwirkende Aussage)

Eindrücklicher, wie er sowohl aus dem Konkaven wie aus dem Konvexen in die gebusten Kuppelsegmente und zur Laternenrundung findet.

Und im Projektieren des Palazzo Carpegna hat er eine eindrückliche Folgerichtigkeit in der Figurfindung des Planes gezeigt:

Spätere (im Rokoko) haben in diesen Thematiken richtig ‘’jubiliert: – siehe den Blog ‘’Raumhinterlagen’’

https://jpar.ch/blog/2022/03/10/raum-hinterlagen/

In unserem Büro waren solche Elemente wie »die Erfindungen Hadrians» ein Hauptaugenmerk:

https://www.jpar.ch/desc/img/desc/Start/2Elemente-jpar.pdf

Man kann bei Borromini auch sehr schön sehen, dass Bemühungen des Architekten durch Ansprüche der Bauherrschaft »übersteuert» werden können:

Die Ecken sind »grob» und die Übergänge zur Decke »unharmonisch»…

…so war es einst geplant….

…doch in den Details (welch herrliches, durchscheinendes Material, dieser Marmor) ist di Linienführung elegant und äusserst ausgewogen, ohne jede härte in den Übergängen….

…und in dieser Kapelle hat er eine schöne Lösung gefunden – und, realisieren können:

…und auch der Übergang vom Gebälk in den oberen Bereich und die Wölbung ist sehr schön gemeistert!

Allerdings ist es vor allem eine »Zeichnung» in der Wölbung, eine »Schrift», die sagt, was mit wem verbunden ist – sehr nahe bei der Gotik (aber natürlich nicht den Formen nach).

Hier, raffiniert: klares Quadrat mit je zwei eingestellten runden Säulen – nur »in der Zeichnung» (Strichlierung) liest man den Raum »mit abgeschrägten Ecken» – hier bringt »die Zeichnung» etwas Neues dazu…

In seinem Spätwerk, der Fassade von San Carlino (die wir aus dem Grundriss kennen, welche den »Innendruck» des Raumes drinnen nach aussen trägt – auch eine »Aussage») – gibt es am Teil vom Innenhof aber dann auch wieder diese – unerhörten – »Zeichnungen» (die mit den Öffnungen nichts gemein haben – auch mit »normalen» Fassaden (Kompositionen) kaum):