Schönheit

Die Fülle

Die Fülle kann nur gestaltet – und empfunden werden, wenn man sie erleben und sich auf sie einlassen und präzise auf sie eingehen kann.

Die Fülle gestalten: Rhythmen, Nähe, Kräfteflüsse; Dichte, Dunkelheit, Licht; Ragen, Stehen, Hängen; Charme, Erstrahlendes, Dich-Erfassendes; Atmosphärisches (knirschendes Kies, die Sommerbäume in der Orangerie; Brot, Holz; Seeligkeit; Verschraubung; Werben, Weben, Luftigkeit, Zierlichkeit, gotische Eleganz; Schönlinigkeit; Gehen, Geh-Arten; innerer Ausdruck, Bewegtheit; Akuratesse, klassische Haltung; Schönheit, Leuchten, Strahlen, Duft und Lieblichkeit; Konglomerat wie Avignon: geklüftet, gefügt; Umsetzen der Ordnungen transformiert in Licht, Mauern; Teppiche, Blickführung…

Nicht das Schroffe, Eckige, Harte; das gestapelte und gereihte; das mit viel Leid Erkaufte..

Evozieren

Gebäude können sich selber darstellen oder evozieren: Sinnliches, Gefühle und Stimmungen erzeugen (ohne noch „sich selber darzustellen“..)

Das Schöne

Das Schöne kann man wohl begreifen; dies ist aber nicht das Gleiche wie es fühlen, empfinden, leben (sich ihm hingeben) – noch etwas Anderes ist es, dies zu schaffen, zu erzeugen…

Beispiele

Der griechische Tempel: Säulen wie Elefantenfüsse – es waren Marmorblöcke im Steinbruch, die zu diesem Kraftausdruck und dieser Eleganz geordnet wurden…

Chinesische Vasen: Fuss unten, Bauch; Kragen bei der Öffnung (oder an diesen Orten das Spezielle) – wie kommt es zum Stehen am Boden – Bauch durch eine Kraft bewirkt, die nach Aussen drückt; die dickflüssige Glasur, die tropfend unten endet: und so den „Unterbau“ der Vase freigibt; Unstetigkeits- oder Schnittstellen können Eleganz, Schnittigkeit, „Laufen“ erzeugen

Es ist vielfach ein Dialogisches, das aber erst in der Betrachtung bewusst wird – und so zur „Schönheit“ beiträgt; z.B.in der Struktur (Wirkung auf / in sich selber; inhärent, thematisch) oder im Ausdruck (Dialog, Zusammenwirken mit/auf Andere/s; expressiv, sich outen)

In der Struktur: zB. LC’s petite maison: Wand und Körper mit Bandfenster und Dachauskragung (Scheiben/Körper)  und Volumen mit Innenformen; Kahn’s Eshrikhouse: Volumen und Fassadentiefe, Rietfeld’s Schroederhaus: Platten und Öffnungen/bzw. Flaches (Scheiben) und Tiefes (Fassadentiefe). Um sich der Beliebigkeit, dem Chaos, zu entziehen, kann sich Architektur referenzieren (Kultur, Geschichte, Typologie, Topografie/Ort: Dialog mit der Kultur und dem Ort).

Als Ausdruck: z.B. im Portrait: Weichheit oder Strenge mit klaren Linien; Alter: unscharf gezeichnet, Vielheit der Linien.  Lächeln, Strahlen, Freude, Trauer, Ernst, Konzentration als Ausdruck des Inneren.

In der Architektur sind das die wirkenden Kräfte, Formung, Prozesse, eben Dialogisches: das Ganze, die Grenzen, die Gestalt, die Oberflächen, die Linien sind auch Ausdrucksträger des Innern (Charakter): sie wirken; sie sind nicht aufgesetzt; der „Charakter“ ist ein Teil des Ganzen.

Widerspruch

In gotischen Zeiten sind die Summen – aber auch die Kathedralen des französischen Kernlandes ein allgemeines, schönes, weil stringentes, harmonisches System. Alles ist (auf Eines) geordnet, Widersprüche oder Schnittstellen sind ausgebügelt (das Innenfassadensystem zB. geht im Chor bruchlos „um die Ecke“). Es sind nicht Additionen, es gibt (fast) keine eigenständige Zonen; Alles ist ponderiert. Nach Thomas von Aquin ist das Proportio (in Bezug zu Gott, zu den Sphärenharmonien, zum Grossen Ganzen, also (in sich – aber auch zu Allem Andern – wohlgeordnet), dann Integritas (ein Ganzes, abgegrenztes System, dem nichts fehlt und das keine Widersprüche hat, d.h. Einzelteile, die um die Vorherrschaft ringen) und schliesslich Claritas (die Klarheit, das Leuchten einer Einheit, das Einfache Ganze, wie ein Individuum, etwas, das man (leicht) fassen kann…Etwas Typisches vielleicht).

Das Tolerieren, Rechnen mit dem Widerspruch sei aber das Zeichen der Neuzeit gegenüber dem Mittelalter. Das Individuum des Humanismus, gesehen als grösste Ressource und Potenzial des Menschen, muss notgedrungen mit seinen Mitindividuen in Konflikt geraten. Richtig zum Tragen kommt diese Prinzip (des Widerspruchs) ja aber eigentlich erst im Manierismus und (das Absolut-Setzen des Individuums) im Barock, wo sich zB. Einer (l’état c’est moi) zum Universellen erklärt…

Dass damit Gemeinschaftswerke wie die mittelalterlichen Städte oder zB. die Hallenkirchen der Hansestädte Planungen und Einzelwerken Einzelner (Architekten, Bauherren) Platz machen, folgt hieraus.

Schönheit und Grosszügigkeit

In Graubünden haben reich gewordene zurückgekehrte Söldner auf der Grundlage bestehender Haustypen mit niedrigen, gut heizbaren Wohnräumen an einem „halböffentlichen“ (kalten) breiten Wohngang (welcher auch die Speicher und Stallungen erschliesst – einer Art einbezogene Tenne) – vielleicht beeinflusst von venezianischen Wohntypen –  ihre Wohnhäuser oder Paläste auch so gebaut: mit einem meist gewölbten, breiten Wohngang mit Treppenhaus am Ende oder an der Seite werden andere vielfach reich ausgestattete, manchmal zweigeschossige Räume bedient. Damit erhalten diese Häuser eine „Mitte“ – ohne wie die Villen des Veneto einen übergrossen (dort im Sommer kühlen) Raum zu generieren, der hier kaum heizbar wäre. Die einzelnen Stuben können nach belieben und Privatheitsgraden dazu geschaltet werden.

Im 19. Jahrhundert werden bürgerliche Mietshäuser nach dem Schema repräsentative grosse Räume hinter den repräsentativen Fassaden – dienende und Schlafräume zum Hof  – gebaut.

Mit dem neuen Bauen wird das Gewicht noch weiter vom repräsentativen Raum weg auf die Organisation des Planes, die Zusammenhänge der diversen Wohnnutzungen, deren Optimierung und dadurch deren Minimalisierung und „Funktionalisierung“ gelegt.

Schönheit in der Architektur

Es sind die Ideen und Bilder in den Köpfen der Architekten, die ändern und andere Architektur erzeugen. Vorbilder aus der Welt der Technik und Dynamik, dann ihr Gegenteil, romantisch, expressive komplexe Bilderwelten oder solche, die sich durch die Computertechnologie ergebenden Werkzeuge erstellt sind – werden für Bautenformen und Räume genutzt; es entstehen Fassaden aus irisierenden Materialien, mit ungewohnten Formen und Materialkombinationen und/oder aus hinterleuchteten halbtransparenten Materialien, mit Grossleinwänden oder mit Led-Technologie „medialisiere“ Gebäude und vielgestaltige, unregelmässige, überhängende, verdrehte moderne „Märchenschlösser“. Architektur (neben allem Zweck) soll unsere Sehgewohnheiten erweitern und  die Ausbildung sinnlicher Fähigkeiten stimulieren, aber auch Orte schaffen, wo Kohärenz, Sinn- und Schönheitserfahrungen möglich sind, wo das wie und wieso und das wozu einer Architektur erfahrbar wird und Schönheit findet.